Thilo Schneider
Thilo Schneider
The Dark Side Of The Mittelschicht
– Thilo Schneider
Auch als Printausgabe erhältlich
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Das Leben ist kein Ponyschlecken,
und die Gestalten, die es bevölkern, drängen sich geradezu auf, von einem alten weißen Mann stellvertretend für seine Alters- und Standesgenossen und ohne Rücksicht auf Verluste vorgeführt zu werden. Die Mittelschicht wird gepiesackt? Nun, dann piesackt sie zurück – von der geharnischten Abrechnung eines Verstorbenen mit seinen Hinterbliebenen bis zum Duell mit der Fleischereifachverkäuferin um exakte 113 Gramm Aufschnitt.
Aus dem Buch: "Nur mal kurz zwischendurch…“
Da sitzt man da, ahnt nichts Böses, beschäftigt sich mit Dingen, die
einem den Lebensunterhalt sichern oder für Kontemplation sorgen,
vielleicht guckt man auch einfach irgendeine Serie. Warum? Weil man es
kann. Und dann schaut die Dame des Herzens um die Ecke und sagt:
„Könntest du bitte mal kurz den Müll hinausbringen?“
Ja, könnte
ich. Wenn ich wollte. „Müll hinausbringen“ geht fix. Mülltüte aus dem
Mülleimer nehmen, zügig Küche, Wohnzimmer und Flur durchqueren, Türe
auf, in den Hof, zur Mülltonne, Mülltonne aufmachen, Müll hinein
schmeißen, Mülltonne zumachen, vom Hof wieder in den Flur („Mach doch
die Türe zu, die Katze rennt sonst raus!“, brüllt der Älteste), Türe
schließen, schnellen Schrittes zurück ins Wohnzimmer und auf die Couch.
Müll draußen, Frau glücklich, weiter Fernsehen gucken. Soviel zur
Theorie.
In der Praxis hat sich gezeigt, dass die Frage „Könntest
du mal kurz“ ein veritabler Haken ist, an dem sich die Freizeit des
Angesprochenen sehr fix und hinterfotzig aufknüpfen lässt.Denn trüge ich
nun den Müll hinaus, dann wäre dies ein untrügliches Zeichen dafür,
dass ich nichts Besseres vorhätte, nichts Besseres zu tun hätte, also
quasi „Freizeit“ hätte und Freizeit ist böse.
Kaum säße ich
nämlich wieder im Sessel, käme der nächste Kopf um die Ecke, um mir
einen ganz kurzen Auftrag zu verpassen. Beispielsweise könnte ich „mal
kurz“ die Matheaufgaben meines Ältesten kontrollieren, der sich im
Moment mit Exponentialrechnungen beschäftigt und von denen ich ungefähr
so viel Ahnung wie von Atomphysik habe, in die ich mich also erst einmal
wieder hineinlesen müsste, anschließend dürfte ich „mal kurz“ das
Wohnzimmer saugen und dann „mal kurz“ bei der Mittleren die
Englischvokabeln abfragen, allerdings spreche ich Englisch fast so gut
wie Deutsch und ich weiß, dass mir neben der Galle auch meine sämtlichen
anderen Innereien hochkämen, hörte ich die Mittlere ihr Schulenglisch
radebrechen und stottern.
Hätte ich nun den Müll herausgetragen,
die Exponentialrechnung quasi neu erfunden, das Wohnzimmer gesaugt, die
Mittlere Englisch abgehört, dann wären mal eben zwei Stunden weg. Zwei
Stunden Lebenszeit, in denen ich genauso gut ein Mittel gegen Krebs in
alkoholischer Form hätte erfinden oder eine Weltreligion hätte gründen
können. Mein Genie quasi vergeudet hätte.Und dann wäre ja noch nicht
Schluss. Es gibt so viele Dinge, die ich „ganz kurz“ mal erledigen
könnte. Den Hof fegen. Oder die Glühbirne in der Gästetoilette
austauschen. Oder den Keller aufräumen. Oderoderoderoderoder.
Aus dem Vorwort
Wir meinen es gut, wir alten weißen Männer, wir hoffen das Beste und
erwarten das Schlechteste. Wir wurden so oft „verarscht“
(Entschuldigung, aber es gibt kein anderes passendes Wort),
beschwindelt, getäuscht und enttäuscht, weil wir zu vertrauensselig
waren und an das Gute im Menschen geglaubt haben. Und – das ist der
eigentliche Knackpunkt – dies noch immer tun. Denn wir haben auch die
Netten, die Inspirierenden, die Freunde, die Helfer, die Verzeihenden
und Treuen kennengelernt. Denen sind wir auch begegnet. Denen, die
selbst gelitten haben und leiden und trotzdem ihr Schicksal mit Mut,
Tapferkeit, Courage und sogar Lebensfreude meistern.
Dieses Buch
handelt von all diesen Menschen und der Kommunikation mit ihnen. Von
den skurrilen Situationen und den verblüffenden Begebenheiten. Manche
dieser Geschichten habe ich exakt so erlebt, andere habe ich
ausgeschmückt, ein paar wenige habe ich frei erfunden. Weil sie auch so
sein könnten, wie es da steht. Irgendjemand hat einmal gesagt: „Die
schlagfertigsten Antworten fallen einem immer erst 24 Stunden später
ein“. Das stimmt. Es stimmt auch, dass sie mir manchmal sofort
einfallen, ich aber verwundert schweige, weil ich eine Situation nicht
eskalieren lassen will oder weil ich höflich oder schlichtweg zu faul
bin. So eine halbwahre Geschichte ist zum Beispiel „Erwischt“. Was soll
ich als Bürger auf die Frage „Warum parken Sie hier“ denn antworten?
Wenn es doch offensichtlich ist, dass ich einfach nur zu faul war, mir
einen ordnungsgemäßen Parkplatz zu suchen? Ich habe mich im Text für die
Variante entschieden, die ich hätte nehmen müssen, wenn ich einen
Verkehrshüter zur Explosion hätte bringen wollen, der Rest der
Geschichte ergab sich dann von selbst.
Der Autor Thilo Schneider
Thilo Schneider, Jahrgang 1966, ist selbstständig („Start-up seit 30 Jahren“) und nebenberuflich als freier Autor und „Sit-Down-Comedian“ tätig. Die Geschichten, die das Leben – fast so – schreibt, verarbeitet der an seinem Zungenschlag untrüglich als Hesse erkennbare Hobbyliterat zu Alltagssatiren und räumt damit regelmäßig bei Poetry-Slams ab. Er lebt, liebt und leidet in Aschaffenburg.
Klappentext
Ich drehe mich wieder zum Automaten und schließe die Augen. Meine linke Hand wandert auf die Tastatur. Ich blende alle Geräusche aus und höre auf die Stimme des Universums. Um mich herum wird es ganz ruhig. So unendlich ruhig. Ich tauche in die Sterne, in die Galaxien, Raum und Zeit haben keine Bedeutung mehr. Dann durchflutet es mich wie pure Energie. Die Finger meiner linken Hand beginnen sich wie von selbst zu bewegen. Zeigefinger. Druck. Mittelfinger. Druck. Mittelfinger. Druck. Ringfinger. Druck. Ich öffne die Augen. „Falsche PIN-Eingabe. Ihre Karte wird aus Sicherheitsgründen einbehalten“, erklärt mir der Automat, die alte Drecksau. Ich trete enttäuscht, zornig und verwirrt einen Schritt zurück. Ich bin bis in mein tiefstes Mark erschüttert und gedemütigt. Ich bin alt. Ich weiß meine PIN-Nummer nicht mehr.
Kurzübersicht
- ISBN: 978-3-9819755-8-1
- Satire
- E-Book (epub)
- Auch als Printausgabe erhältlich
- Erscheinungsdatum: 1. Aufl. / 16.11.2020
- 224 Seiten